19
Lisa hatte gehofft, sie könnte mit Jack ein Stück weiterkommen, wenn sie ihn zu dem Abend im River Club einladen würde. Es wäre eine wunderbare Möglichkeit zu einer privaten Begegnung, getarnt als Arbeitstermin. Aber es hatte sich keine Gelegenheit ergeben, es beiläufig zu erwähnen, weil im Fernsehstudio eine Krise ausgebrochen war - anscheinend passierte das andauernd - und er weder am Donnerstag noch am Freitag in die Redaktion kam, da er den Streit schlichten musste. Es bedeutete auch, dass sie auf sein Lob verzichten musste, das ihr für das Foto in der Zeitung - immerhin ein bisschen Vorab-Werbung für Colleen - gebührte. Sie war sauer.
Am Samstag hatte sie den Tag damit verbracht, Sachen für ihr ›neues‹ Haus zu kaufen. Sie war am Abend zuvor eingezogen und hatte das dringende Bedürfnis, die Wirkung von dem ganzen Kiefernholz ein wenig abzumildern. Allerdings waren die Geschäfte für Innenausstattung in diesem grässlichen Land so bedauernswert und deprimierend schlecht wie alles andere auch.
Niemand hatte von Rollos aus japanischem Reispapier, Duschvorhängen mit Taschen oder Türknäufen aus Glas in der Form von Blumen gehört. Sie hatte es geschafft, Ecru-Bettwäsche ausfindig zu machen, aber nicht in der richtigen Größe, und da die Ware in England bestellt werden musste, würde es ewig dauern, bis sie kam.
Als sie ›nach Hause‹ kam, musste sie eine halbe Stunde warten, bis das Wasser zum Duschen warm war. Von wegen, Jack würde die Zeituhr für sie reparieren. Männer! Sie waren doch alle gleich: große Klappe und großer Schwanz, und manchmal noch nicht mal das.
Obwohl sie nach ihrem enttäuschenden Tag bitter und verärgert war, freute sie sich dennoch darauf, den Abend auf den Spuren von Marcus Valentine zu verbringen. Wenigstens wäre es etwas Konstruktives. Seitdem die schlechte Anzeigensituation bekannt geworden war, kam es umso mehr darauf an, brillante Kolumnen für Colleen an Land zu ziehen.
Kurz nach neun kam sie im River Club an. Wie alles andere in Irland war auch dies eine Enttäuschung, denn der Club war kleiner und schäbiger, als sie erwartet hatte. Mit der K-Bar konnte er schon mal gar nicht mithalten.
Es war ziemlich ungewiss, ob sich die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Marcus Valentine ergeben würde, aber für alle Fälle trug sie ihr Ich-bin-eine-ganz-normale-Frau-und-keine-furchteinflößende-Zeitschriften-Schickse-Outfit: ausgefranste Jeans mit Stickerei, Slipper-Sportschuhe, ein T-Shirt mit U-Boot-Kragen. Obwohl sie reichlich Make-up trug, war es sehr subtil und daher praktisch unsichtbar. Sie sah jung, hübsch und ansprechbar aus, als hätte sie das Erstbeste angezogen, was ihr in die Hände fiel, und nicht als hätte sie eine Stunde lang vor dem Spiegel (mit Kiefernrahmen) die Wirkung erprobt.
Sie sah sich in dem gut gefüllten Raum nach Ashling und ihren Freunden um, fand sie aber nicht; also ging sie zur Bar und bestellte sich einen Cosmopolitan. Ein Cosmopolitan war ein ultraschicker Martini-Cocktail, den man sich in der K-Bar und in Chinawhite und all den anderen topaktuellen Bars in London bestellte.
»Wie bitte?«, fragte der rundliche, rotgesichtige Barkeeper, der aus seinem Nylonhemd zu platzen drohte.
»Einen Cosmopolitan.«
»Wenn Sie die Zeitschrift wollen, dann gibt es ein Stückchen weiter einen Zeitungsladen. Wir verkaufen nur Getränke.«
Lisa überlegte, ob sie ihm erklären sollte, woraus ein Cosmopolitan besteht, dann fiel ihr ein, dass sie es selbst nicht wusste.
»Ein Glas Weißwein«, sagte sie gereizt. Womöglich hatten sie das auch nicht. Dann müsste sie dieses eklige Guinness trinken.
»Chablis oder Chardonnay?«
»Ah, ehm, Chardonnay.«
Sie zündete sich eine Zigarette an und sah sich um. Als sie die Zigarette aufgeraucht und den Wein ausgetrunken hatte, war Ashling immer noch nicht aufgetaucht.
Vielleicht ging ihre Uhr falsch. Lisas Blick wanderte zu einer Gruppe junger Männer. Sie nahm sich den attraktivsten in der Runde vor und fragte: »Wie viel Uhr ist es?«
»Zwanzig nach neun.«
»Zwanzig nach?« Es war später, als sie gedacht hatte.
»Hat Sie jemand versetzt?«
»Nein! Aber die Verabredung war für neun!«
Der junge Mann erkannte ihren Akzent. »Sie sind Engländerin?«
Sie nickte.
»Die kommen bald. Vor zehn sind sie allemal hier. Aber Sie müssen verstehen, bei uns ist das nur so eine Redensart, wenn wir neun Uhr sagen.«
In Lisa regte sich der blanke Zorn. Dieses beschissene Land. Sie hasste es.
»Aber wir unterhalten uns mit Ihnen, bis Ihre Freunde kommen«, bot er ihr mit einem galanten Lächeln an. Er steckte zwei Finger in den Mund und pfiff seine Freunde, die sich davongemacht hatten, wieder zurück.
»Sie brauchen ni...«, fing Lisa an.
»Das machen wir gern«, versicherte er ihr. »Jungs«, sagte er zu seinen Freunden. »Das hier ist -« Er deutete mit der Hand auf Lisa und wartete darauf, dass sie ihren Namen sagte.
»Lisa«, sagte sie schmollend.
»Sie ist aus England. Ihre Freunde haben sich verspätet, und jetzt kommt sie sich ein bisschen verloren vor.«
»Halt dich an uns«, sagte ein kleiner, wieselartiger Jüngling. »Hol ihr was zu trinken, Declan.«
»Irische Gastfreundschaft«, murmelte Lisa verächtlich.
Die sechs jungen Männer nickten begeistert. Doch wenn sie ehrlich waren: Es hatte nichts mit der legendären irischen Gastfreundschaft zu tun und sehr viel mit Lisas karamellfarbenen Haaren, ihren schmalen Hüften und den langen braunen Beinen, die aus ihren sorgfältig ausgefransten Jeans herausragten. Wäre Lisa ein Mann, würde sie einsam und von allen ignoriert in ihr Bierglas starren.
»Ist nicht mehr nötig - hier sind sie«, sagte Lisa erleichtert, als sie Ashling zur Tür hereinkommen sah.
Als Ashling Lisa erblickte, verblasste der Glanz ihrer neuen Kleider, und sie kam sich plump und ungehobelt vor. Nervös stellte sie Joy und Ted vor und hörte dann zu ihrem Entsetzen, wie Joy sich an Lisa wandte und sagte: »Jim Davidson, Bernard Manning oder Jimmy Tarbuck - und du musst mit einem von ihnen schlafen.«
»Jo-oy!« Ashling stieß ihr in die Rippen. »Lisa ist meine Chefin!«
Aber Lisa ging sofort drauf ein, sah nachdenklich in die Ferne und sagte nach reiflicher Überlegung: »Jim Davidson. Warte mal. Des O‘Connor...«
Das warf Joy ganz schön aus der Bahn.
»... Frank Carson oder... oder... Chubby Brown.« Lisa lächelte listig und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.
Joy grübelte einen Moment und sagte dann mit einem schweren Seufzer: »Des O‘Connor, wenn‘s sein muss.«
Als sie sich ein paar Plätze sicherten, flüsterte Joy Ashling zu: »So schlecht ist sie doch gar nicht.«
Ted sollte als Erster auftreten, und obwohl es erst sein dritter öffentlicher Auftritt war, hatte sich schon eine kleine Fangemeinde eingestellt. Sein Gefühlsausbruch in Ashlings Wohnung war völlig überflüssig gewesen. Als er seinen Auftritt damit eröffnete, dass er in den Zuschauerraum schrie: »Meine Eule fährt nach Spanien«, rief ihm eine Gruppe von sechs studentischen Typen zu: »Sevilla?«, worauf Ted erwiderte: »Nein«, und einige Zuhörer sagten den Rest der Antwort mit ihm im Chor: »Ich hab sie geschickt.«
Ted hatte ganz viele neue Eulen-Witze, die alle wie eine Bombe einschlugen.
»Wie nennt man eine anhängliche Eule?« - »Uhu!«
»Wie nennt man eine komische Eule?« - »Kauz!«
»Wie nennt man eine Eule vor dem Traualtar?« - »Schleiereule!«
»Wie nennt man eine weinerliche Eule?« - »Eulsuse!«
»Jetzt was Politisches. Dieser Charlie Haughey - also, ich meine, wo hat der alle seine Eulen her?«
Obwohl die meisten Zuhörer sich vor Lachen krümmten, hatte Lisa Ted durchschaut. »Ich weiß, dass er dein Freund ist, aber das hier ist ein klarer Fall von des Kaisers neuem Hugo-Boss-Anzug«, sagte sie vernichtend.
»Er macht das ja nur, weil er eine Freundin finden möchte«, erklärte Ashling demütig.
»Na, dann mag es ja angehen.« Dass der Zweck die Mittel heiligte, war auch einer von Lisas Grundsätzen.
Nach Ted traten noch zwei andere Komiker auf, dann war Marcus Valentine an der Reihe. Die chemische Zusammensetzung der Luft schien sich zu verändern und aufzuladen mit einer knisternden Spannung. Als er schließlich auf die Bühne trat, wurden die Zuschauer hysterisch. Auch Ashling und Lisa waren hochgespannt, allerdings jede aus anderen Gründen.
Für einen männlichen Alleinunterhalter war Marcus Valentine eher ungewöhnlich. Seine Nummer enthielt keinerlei Anspielung auf Masturbation, Alkoholexzesse oder Ulrike Johnson. Höchst absonderlich.
Er stellte den »vom modernen Leben überwältigten Mann« dar. Der Typ, der mal eben in den Supermarkt geht, um ein Stück Butter zu holen, und ins Trudeln gerät, weil er sich nicht entscheiden kann zwischen streichfähiger Butter, Butter mit ungesättigten Fettsäuren, Butter mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren, gesalzener Butter, ungesalzener Butter, Butter aus Magermilch, Butter aus entrahmter Milch, und Butter, die gar keine ist und nur so tut.
Er war charmant und nett, auf seine sommersprossige Art und Weise. Verwirrt und verletzbar. Und er hatte einen attraktiven Körper. Ashling registrierte all dies mit Unbehagen.
Hastig zählte sie sich all die Gründe auf, aus denen Marcus Valentine nicht in Frage kam. Erstens: seine Begeisterung. Strahlende Augen und Mangel an Zynismus waren nicht sexy. Traurig, aber wahr. Zweitens: seine Sommersprossen. Drittens: sein Interesse an ihr. Viertens: sein dummer Name.
Aber als sie zu ihm hochsah, wie er da stand mit seinen langen Beinen und der breiten Brust, merkte sie, dass sie in großer Gefahr war, gegen die Regel »Verliebe dich nie in den Mann auf der Bühne« zu verstoßen. Dazu kam die Tatsache, dass er gesagt hatte, er würde sie anrufen. Das war eine tödliche Kombination. Ich werde nicht schwach, sagte sie zu sich selbst, ich werde nicht schwach ... So ähnlich, als würde man sich die Finger in die Ohren stecken und laut »Lalala, ich kann dich nicht hören« rufen.
»Schneeflocken!«, rief Marcus in den Raum; seine großen unschuldigen Augen glitten über die Köpfe. »Man sagt, es gibt keine zwei gleichen.«
Er ließ eine Pause entstehen, dann schnaubte er: »Aber woher will man das wissen?«
Die Leute brüllten vor Lachen, und er fragte verwirrt: »Hat man sie alle miteinander verglichen? Hat man das überprüft?«
Er ging zum nächsten Thema über.
»Es gab da eine junge Dame, mit der ich mich gern verabredet hätte«, erzählte Marcus den Zuhörern, die an seinen Lippen hingen.
Ob er mich meint? fragte Ashling sich.
Er ging über die Bühne und schien tief in Gedanken versunken. Das Licht der Scheinwerfer fiel auf seine straffen Oberschenkel.
»Aber das letzte Mal, als ich eine junge Dame nach ihrer Telefonnummer gefragt habe, sagte sie: ›Die steht im Telefonbuch. Nur wusste ich ihren Namen nicht, und als ich sie danach fragte, sagte sie:...« Er machte eine Pause und fuhr dann mit perfektem Zeitgefühl fort: »... ›Oh, der steht auch im Telefonbuch.«
Lautes Lachen brach aus, ein verständnisvolles Lachen, das ausdrückte: Zum Glück geht es mir nicht allein so.
»Deswegen beschloss ich, mich ganz cool zu geben.« Er zeigte ein unbeholfenes Grinsen, und alle schmolzen dahin. »Ich dachte, ich mache es so wie Austin Powers und bitte die junge Dame, mich anzurufen. Also schrieb ich meinen Namen und meine Telefonnummer auf einen Zettel und überlegte, was Austin Powers wohl sagen würde.« Er schloss die Augen und legte die Fingerspitzen an die Schläfen, um zu zeigen, dass er mit Austin Powers Kontakt aufnahm.
»Und plötzlich wusste ich es. Bellez-moi!«, rief Marcus. »Genial, geschliffen, geistreich. Welche Frau würde widerstehen können? Bellez-moi!«
Ich bin berühmt. Am liebsten wäre Ashling aufgesprungen und hätte das allen zugerufen.
»Und was soll ich Ihnen sagen?« Marcus machte ein süßes, naives Gesicht und ließ den Blick über die Menge gleiten. Die Zuhörer standen in seinem Bann, sie streckten sich ihm entgegen, voller Zuneigung, während er die Stille ausdehnte und die Menschen fest im Griff seiner sommersprossigen Hand hielt. »Sie hat nicht angerufen!«
Kein Zweifel, Marcus hatte Starqualität als Verlierer-Typ.
Kaum war er von der Bühne gegangen, sprang Lisa von ihrem Platz auf. Er hatte eine Einladung zum Lunch ausgeschlagen, als Trix seinen Agenten angerufen hatte, aber Lisa hoffte, dass exzessives Schmeicheln und ihre höchsteigene Person etwas ausrichten konnten. Ashling sah, wie sie ihn am Bühnenrand abfing, und überlegte, ob sie ihr folgen sollte. Sie wollte nicht zu nah kommen, falls er sie sah. Falls er dachte ...
Aber Ted wurde von seinen Fans belagert und Joy hatte gerade den Halb-Mann-halb-... hatte Mick im Gespräch mit einer anderen Frau gesehen und musste der Sache auf den Grund gehen. Nachdem Ashling noch eine Weile allein sitzen geblieben war, stand sie auf.
Neugierig beobachtete sie Marcus, der Lisa dabei beobachtete, wie sie ihre Show abzog. Er hatte den Kopf auf die Seite gelegt, und seine Art, die Mundwinkel fragend nach unten zu richten, war bezaubernd. Dann hörte Lisa auf zu sprechen, und er sagte etwas. Mitten in dem, was wie eine Absage aussah, blieb sein Blick an Ashling hängen, und er sprach nicht weiter.
»Hallo«, sagte er tonlos, bedachte sie mit einem strahlenden Lächeln und hielt ihre Augen mit einem warmen Blick fest. Als hätten wir eine Vereinbarung, dachte Ashling unbehaglich. Er denkt bestimmt, ich bin seinetwegen hergekommen.
Er führte die Unterhaltung fort, sah aber immer wieder zu ihr herüber, dann berührte er zum Abschied Lisas Arm und kam zu Ashling.
»Hallo mal wieder.«
»Hallo.«
»Was machst du denn hier?«
Sie zögerte einen Moment, sah dann unter ihren Wimpern hervor und sagte lächelnd: »Ich dachte, heute tritt Macy Gray auf.«
Mist! dachte sie. Ich flirte mit ihm.
Er lachte anerkennend. »Hat es dir gefallen?«
»Jaha.« Sie nickte und sah wieder unter ihren Wimpern hervor.
»Darf ich dich mal zu einem Drink einladen?«
Das hatte sie jetzt davon! Sie war wie ein Kaninchen, das vom Scheinwerferlicht gebannt ist und nicht wegrennen kann. Sozusagen.
Ich kann mich nicht mit ihm einlassen, bloß weil er berühmt und bewundert ist. Dann wäre ich sehr oberflächlich.
»Also gut.« Ihre Stimme hatte beschlossen, die Sache ohne Rücksicht auf sie voranzutreiben. »Ruf mich an!«
»Deine Nummer...?«
»Die hast du bereits.«
»Gib sie mir noch einmal, für alle Fälle.«
Marcus begann, sich auf übertriebene Weise von oben bis unten abzuklopfen, auf der Suche nach Papier und Bleistift. Zum Glück hatte Ashling den Inhalt eines kleinen Sekretärs in ihrer Handtasche. Sie schrieb ihre Nummer auf eine herausgerissene Seite aus einem Notizbuch.
»Das bewahre ich gut auf«, versprach er, faltete den Zettel klein zusammen und steckte ihn tief in seine Hosentasche.
»Ganz nah an meinem Herzen«, sagte er in einem Ton, in dem lauter Andeutungen mitschwangen. »Ich gehe jetzt, aber ich rufe an.«
Über sich selbst verwirrt sah Ashling ihm nach. Als sie bemerkte, dass Lisa sie amüsiert beobachtete, entschlüpfte sie zur Damentoilette. Dort wurde ihr Weg zum Waschbecken von einem jungen Mädchen blockiert, das ziemlich klein war und melancholische Augen hatte und sich ihren Lidstrich nachzog, wodurch ihr Ausdruck noch melancholischer wurde. Als Ashling den Wasserhahn aufdrehte, wandte sich das melancholische Mädchen an ihre größere Freundin, die mit Lipgloss immerzu im Kreis über ihre Lippen fuhr, und sagte: »Ob du‘s glaubst oder nicht, Frances, aber das war ich.«
»Was warst du?«
»Das Mädchen, dem Marcus Valentine den Zettel mit Bellezmoi gegeben hat.«
Ashling zuckte so heftig zusammen, dass sie sich Wasser auf ihre Bluse spritzte. Niemand bemerkte etwas.
Frances drehte sich langsam um und sah sie ungläubig an, während ihr Lipgloss-Stift an den Lippen festgeklebt schien. Die melancholische Freundin erklärte: »Das war letzte Weihnachten, da haben wir zwei Stunden lang nebeneinander in der Taxischlange gestanden.«
»Aber warum hast das nicht gemacht mit dem Bellez?« Frances nahm den Lipgloss-Stift von ihren Lippen und schüttelte das melancholische Mädchen an den Schultern. »Er ist süß. Süß!«
»Ich dachte, das ist irgend so ein sommersprossiger Typ.«
Frances betrachtete das kleinere Mädchen lange und nachdenklich, bevor sie ihr Urteil abgab: »Weißt du was, Lisa O‘Neill? Du verdienst es, unglücklich zu sein, wirklich wahr. Ich werde nie wieder Mitleid mit dir haben.«
Ashling, die sich immer noch die Hände wusch wie jemand im Endstadium eines Waschzwangs, hörte gebannt zu. Ihr Leben lang hatte sie nach ZEICHEN gesucht, und wenn dies kein ZEICHEN war, dann wusste sie nicht, was eins sein sollte. Marcus Valentine ist einen Versuch wert, war die Botschaft des himmlischen Orakels. Selbst wenn er wirklich Zettel mit Bellez-moi verteilte wie Flugblätter - sie hatte ein gutes Gefühl. Ein sehr gutes Gefühl.
Als Ashling aus der Toilette kam, war Lisa im Begriff zu gehen. Sie hatte erreicht, was sie wollte, und sah keinen Grund, in diesem abbruchreifen Club länger rumzuhängen.
»Also dann, bis Montag im Büro«, sagte Ashling unbeholfen, weil sie nicht wusste, wie kumpelhaft sie sein sollte.
Lisa schlängelte sich mit zufriedener Miene durch die Menge. Kein schlechter Abend. Marcus Valentines Auftritt hatte sie davon überzeugt, dass es lohnte, ihn zu pushen. Aber es würde nicht leicht sein. Im wirklichen Leben war er nicht halb so arglos. Im Gegenteil, er war clever - und nicht leicht festzunageln. Lisa nahm an, dass er eigentlich nichts dagegen hatte, eine Kolumne zu schreiben, dass er sich aber für eine seriöse Tageszeitung freihalten wollte. Um das auszuhebeln, könnte sie ihm ein paar leere Versprechungen machen, dass seine Kolumne über Randolph Media auch in anderen Publikationen verbreitet würde.
Und dazu kam als Überraschungsgeschenk, dass er anscheinend Interesse an Ashling hatte. Sie und Ashling konnten ihn von zwei Seiten in die Klemme nehmen. Die Kolumne war praktisch unter Dach und Fach.
Aber sie musste schnell handeln, bevor er Ashling wieder fallenließ. Denn fallenlassen würde er sie. Lisa kannte Typen wie ihn aus Erfahrung. Wenn ein nicht besonders aufsehenerregender Mann wie er zum Star aufstieg, konnte er nicht umhin, sich der außerplanmäßig auftauchenden Frauen zu bedienen.
Es könnte allerdings kompliziert werden - Ashling schien eine der beklagenswerten Frauen zu sein, die Liebeskummer schwernahmen, und was Lisa in dieser Phase, wo es hoch herging, am wenigstens gebrauchen konnte, war eine stellvertretende Chefredakteurin, die ausflippte. Warum schwache Menschen Zusammenbrüche haben mussten, war ihr schleierhaft. Ihr würde das nie passieren.
Natürlich ging sie die ganze Zeit davon aus, dass Ashling sich mit Marcus einlassen würde. Vielleicht würde sie es nicht tun, und das konnte man ihr nicht übelnehmen. In Lisas Augen war er abstoßend. Diese Sommersprossen! Und sie waren nicht weniger grotesk, bloß weil er einen Saal voller Betrunkener zum Lachen bringen konnte.
»Lisaaa! Bis bald. Mach‘s gut, Lisaaa!« Die jungen Männer, die sich anfangs um sie gekümmert hatten, winkten ihr zu.
»Bis bald.« Sie war überrascht, als sie merkte, dass sie lächelte.
An der Tür sah sie Joy in einem intensiven Gespräch mit einem Mann, der eine weiße Strähne in seinem langen schwarzen Haar hatte. Auf eine plötzliche Eingebung hin flüsterte Lisa ihr im Vorbeigehen zu: »Russ Abbott, Haie oder Pace. Und du musst mit einem schlafen.«
Joy wirbelte herum, aber Lisa war schon weg. Als sie durch die Straßen ging, wurde ihr bewusst, dass der Abend besonders gewesen war. Es hatte ... irgendwie war es... Dann wusste sie es. Spaß! Es hatte Spaß gemacht.